Historischer Kontext und Vorgeschichte

Die Reise der Katholischen Studentenverbindung Ottonia im Kartellverband zu München beginnt in einer Zeit des fundamentalen politischen und gesellschaftlichen Umbruchs. Napoleons Siegeszug in Europa brachte neben der Säkularisation den Zusammenbruch des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (1806), gefolgt von politischen Reaktionen wie Restauration, Liberalismus, Märzrevolution und Reaktionsära. Diese fast ausschließlichen politischen Umwälzungen, wie auch die einsetzende Industrialisierung brachten den Wind der allumfassenden Veränderungen im geistigen und gesellschaftlichen Leben. Insbesondere für Bayern bedeutete dies beispielsweise den Aufstieg zu einem Königreich und auch die gewissermaßen provinzielle und rückständige Residenzstadt der bayerischen Herzöge, München, begann ihren kometenhaften Aufstieg zur heutigen Weltstadt mit Herz. Dabei waren es insbesondere die Kirchen, die, zwar einerseits am meisten unter diesen Veränderungen gelitten hatten, da sie um ihren politischen Einfluss beschnitten worden waren, andererseits aber gerade in dieser Zeit (ab 1837) eine gesellschaftliche Renaissance erlebten. Im Zuge der Wiederbelebung von Heiligtums- und anderer Wallfahrten zu regionalen spirituellen Zentren, wie beispielsweise der Ausstellung des Heiligen Rocks in Trier (1844), entstanden in vielen katholischen Städten katholische Vereine, die dann auch zu der Gründung katholischer Studentenvereine- bzw. Verbindungen beitrugen. Obwohl die Geschichte des Korporationswesens weiter in der Geschichte zurückliegt, war es die Zeit dieser Umwälzungen, die dazu führte, dass im Zuge der gescheiterten Revolution von 1848/49 neue Studentengruppierungen entstanden. Diese politischen, farbenführenden und schlagenden Verbindungen trugen das damalige Ideal eines kampffähigen, freien Bürgers im Kontrastverhältnis zum feudalistischen System. Als Gegenentwurf dazu entstanden ab Beginn der 1850er-Jahre katholische Studentenvereine wie die Aenania in München (1851), die weniger politisch als religiös ausgerichtet waren, deren Mitglieder es sich aber zur Aufgabe gemacht hatten, ihren katholischen Glauben mit ihrem studentischen und später beruflichen Alltag zu verbinden. Das ein solcher Trend auch politisch notwendig wurde, lässt sich retrospektiv davon ableiten, da bereits zu diesem Zeitpunkt der Kulturkampf seine Schatten vorauswarf. Eine politische Entwicklung die bei der 15. Generalversammlung deutscher Katholiken (1863), von dem damaligen Senior des Berliner Lesevereins, Georg Freiherr von Hertling, in einer öffentlich gehaltenen Rede angesprochen wurde, in der er „die Notwendigkeit der Organisation der katholischen Studenten an den Universitäten“ betonte. Der besagte Senior Georg Freiherr von Hertling, sollte später nicht nur Zentrumspolitiker, Ehren-Ottone (1882) und bayerischer Ministerpräsident (1912-1917) – sondern 1917/18 auch Reichskanzler des Deutschen Reiches unter Kaiser Wilhelm II. werden.