Vom Ersten Weltkrieg zur Auflösung
185 Ottonen wurden im ersten Kriegsjahr 1914 eingezogen. Bemerkenswerter aber sind die Handlungsebenen der Daheimgebliebenen: Sie waren es, die mit ihrem Einsatz die Verbindungsbrüder an der Front unterstützten. Sei es durch Geld- bzw. Sachverschickungen oder in einem kontinuierlichen Briefwechsel zur Front (bspw. 500 Pakete zum Weihnachtsfest 1915). Obwohl das 50. Stiftungsfest aufgrund des Krieges ausfallen musste, konstituierte sich die Aktivitas nicht nur im selben Jahr erneut, sondern man begann mit der Organisation von Mitteln, um ein zentrales Refugium für die Ottonia zu finden, die sich bis dato in verschiedenen Lokalitäten der Stadt München getroffen hatte. Die verbindungseigene Kommission unter der Leitung der Philister Freudenstein und Dr. Pfeiffer, die 1917 eigens dazu gegründet wurde, konnte mit der Liegenschaft in der Gabelsbergerstr. 24 ein geeignetes Objekt ausmachen und einen guten Finanzierungsplan vorlegen. Noch während des letzten Kriegsjahres wurde dieses Objekt für rund 20.000 Mark erworben und damit zum bis heute allgemein bekannten „Ottonenhaus“. Noch vor dem offiziellen Ende des Ersten Weltkrieges am 11. November 1918 endete mit dem 7. November 1918 die Herrschaft des Hauses Wittelsbachs in Bayern. Das Königreich musste dem sog. „Volksstaat“ weichen. Das Auflösen der Heere führte dazu, dass zwar die Aktivitas in diesen Tagen zwar deutlich gestärkt wurde, allerdings mussten die ehemaligen Soldaten wieder an das akademische Leben herangeführt werden. Insgesamt waren im Laufe des Ersten Weltkrieges 356 Ottonen eingezogen worden, 48 von diesen sollten nicht zurückkehren. Die unmittelbare Nachkriegszeit war eine unruhige Zeit, was sich daran zeigt – wie Bb Heinrich Gratzl in dem von ihm herausgegebenen zweiten Ottonenband ausführte – dass die Feier des 53. Stiftungsfestes, welches am Sonntag dem 16. Februar 1919 gefeiert wurde, zusammenfiel mit einer Großdemonstration im Zusammenhang der politischen Krise nach den bayerischen Landtagswahlen im Januar desselben Jahres. In Folge der Ermordung des Ministerpräsidenten Kurt Eisners durch Graf Arco verschlechterte sich die politische Situation so sehr, dass es zur sozialistischen Revolte kam und die sog. Räterepublik ausgerufen wurde. Erst nach der Rückeroberung Münchens am 1. Mai 1919 kehrte vorübergehend Ruhe in der bayerischen Landeshauptstadt München wie auch in der Ottonia ein. Die nachfolgenden Jahre blieben unruhige und unsichere, doch war es das Ottonenhaus, das den Austausch zwischen Aktiven und Philistern in einem einigermaßen geordneten Verbindungsleben ermöglichte. Dies lässt sich vor allem an der Gründung der Tochterverbindung K.St.V. Isaria-Freising (1921) ableiten. Allerdings hatte auch die Ottonia im Rahmen der Inflation mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Es wurde ruhiger in der Aktivitas, die auch im Hinblick auf ihre Mitgliederzahl eingebüßt hatte. Das Wintersemester 1921/22 war überschattet von der ersten größeren Inflationskrise, die innerhalb der Ottonia vor allem die aktiven Studierenden traf. Diese Krise konnte durch die sog. „Mensa academica“, ein ehrgeiziges Projekt der Philister, gemildert werden, die an bis zu fünf Tagen der Woche die Aktivitas mit Essen versorgte (1924: 4.000 Mittagessen an 164 Tagen). Insgesamt bestand die Aktivitas in dieser Zeit aus 120 Aktiven. Dennoch wirkte sich die Finanznot auch auf die Lage des Studentenvereins aus, sodass bis 1925 das Philister-Korrespondenzblatt eingestellt werden musste. Doch hatte die Zeit der Krisen erst begonnen: Mit der von Gratzl erwähnten „politischen Erschütterung“ – dem Hitlerputsch von 1923 – und dem ab 1925 immer stärker hervortretenden Nationalsozialismus kam es auch innerhalb der Ottonia zu schweren Auseinandersetzungen, die jedoch mit der Entlassung der entsprechenden Befürworter beendet werden konnten. Auf der anderen Seite zeigte sich mit der Aufnahme von 25 Füchsen im Sommersemester 1925, dass die Ideale des katholischen Verbindungswesens auch in dieser Zeit ihre Strahlkraft behielten. Eindrucksvoll belegt auch durch das 60. Stiftungsfest von 1926, das vom 18.- 22. Juli des gleichen Jahres gefeiert wurde. Der Exbummel zum Starnberger See, der in dem berühmten Ottonenportrait vor der Gedächtniskapelle Ludwigs II. festgehalten wurde, verzeichnete noch einmal 365 Teilnehmer. Ungeachtet der schwierigen politischen und wirtschaftlichen Situation wurde im akademischen Jahr 1929/30 die Renovierung des Ottonenhauses begonnen und die Arbeiten fristgerecht mit dem 64. Stiftungsfest 1930 beendet, sodass es zu dieser Gelegenheit feierlich eingeweiht werden konnte, mit dem großen Ziel noch vielen Generationen von Studierenden ein Refugium bieten zu können. Die anhaltende Finanzkrise und damit einsetzende Unruhen an den Universitäten hatten zur Folge, dass sich die Ottonia, wie Bb Heinrich Gratzl festhielt, „stark auf sich selbst zurück (zog)“. Mit Regierungsantritt der NSDAP 1933 begann eine der retrospektiv schwierigsten Zeiten – nicht nur für die Ottonia und den KV. Mit dem 1. KV-Führerbefehl vom 22. Juli 1933 wurde der Kartellverband in seinem bisherigen Bestand abgeschafft. Gleiches galt für die Ottonia, indem ein Korporationsführer ernannt wurde, der die Leitung der Altherrenschaft und Aktivitas übernahm. Die erzwungene Aufgabe des Katholizitätsprinzips vom 20. Januar 1934, war auch für die Studentenverbindung Ottonia ein schwerer Rückschlag. Intern wurde jedoch alles unternommen, den Verbindungsmitgliedern in dieser schweren Zeit Halt und einen Zufluchtsort zu bieten. Allerdings wurde noch im Wintersemester 1934/35 aus dem Ottonen-Verbindungsheim, das der Nationalsozialistischen Verordnung entsprechende „Kameradschaftsheim“, welches dazu dienen sollte, gemäß staatlicher Verfügung die Studenten in die Richtung staatlich gelenkter Kameradschaftserziehung zu erziehen. Die Versuche des Verbandes und der Ottonia, die Identität und Prinzipien zu halten, änderten aber jedoch nichts daran, dass der Verband mit einem erweiterten Erlass am 18. Mai 1936 aufgelöst wurde. Auch an dieser Stelle zeigt sich der Idealismus der Ottonen, da im Geheimen versucht wurde, das korporative Leben fortzuführen. Mit dem 20. Juni 1938 erreichte die staatliche Willkür eine neue Stufe, da durch einen weiteren Erlass der KV und seine sämtlichen Verbindungen als staatsfeindlich eingestuft- und die jeweiligen Vermögen beschlagnahmt wurden. Dieses Schicksal ereilte auch das Haus der Ottonia, das am 25. Juni 1938 beschlagnahmt und versiegelt wurde. Es gelang dem Archivar und einigen Ottonen jedoch noch heimlich, in einer gefährlichen Nachtaktion, wichtige Couleurgegenstände und Großteile des Ottonenarchivs aus dem versiegelten Haus in Sicherheit zu bringen. Es trafen sich trotz Verbot auch weiterhin Philister und Aktive, bis 1941 auch die letzten Aktiven eingezogen wurden und die Bombennächte letztlich jegliche Zusammenkünfte unmöglich machten. Allerdings berichtet bereits Bb Heinrich Gratzl ebenfalls über den Austritt von min. 54 Ottonen, die allein zwischen 1935 und 1936 aus der Ottonia ausgeschieden waren. Auch wenn Gratzl diese Austritte mehrheitlich auf die Enttäuschung über die Abschaffung des Katholizitätsprinzips zurückführt, schließt auch er nicht aus, dass einige aufgrund ihrer politischen Überzeugung diesen Schritt gegangen waren. Fazit des Krieges: 49 Ottonen verloren ihr Leben, hervorzuheben ist dabei Philister Hans Wölfel (1902-1944), der aufgrund seines religiös motivierten Widerstandes gegen den Nationalsozialismus durch den Volksgerichtshof zum Tode verurteilt wurde. Dennoch stellte der überwiegende Teil der Ottonen in der Nachkriegszeit seinen Wiederaufnahmeantrag, wodurch sowohl die Aktivitas wie auch das Philisterium auf seine alte Vorkriegsgröße anwuchsen.