Wiederaufbau und Konsolidierung
Auf ein Gesuch führender Philister der Ottonia vom 17.12.1945, die ihrerseits leitende Funktionen in den neu etablierten Behörden erhalten hatten, genehmigte die amerikanische Militärregierungsbehörde der Stadt München eine Weihnachtsfeier mit den alten Mitgliedern der Ottonia für den 23. Dezember 1945. Dieses Datum ist retrospektiv betrachtet der Tag des Neuanfangs, nicht nur für diese Verbindung, sondern für das katholische Korporationswesen der bayerischen Landeshauptstadt, da es nicht nur eine reine Ottonen-Weihnachtsfeier war, sondern zugleich auch das erste Treffen des MKV nach dem Krieg wurde. Auf dieser vertrauenswürdigen Grundlage erhielt die Ottonia ebenfalls die Erlaubnis, am 29. Juli 1946 das 80. Stiftungsfest feiern zu dürfen, nachdem das 70. Stiftungsfest aufgrund der Auflösung der Aktivitas 1936 ausgefallen war. Es zeigte sich, so Gratzl, dass die „Ottonia auch in der neuen Zeit lebensfähig und bereit (war), für die katholische akademische Jugend eine Pflegestätte katholischen Geistes- und Gesellschaftslebens zu sein.“ Es ist in diesem Zusammenhang nicht verwunderlich, dass die Ottonia nach allem bereits am 21. August 1947 als erste KV-Verbindung in München von der Militärregierung die Lizenz erhielt, das Vereinsleben weiterzuführen. Bereits mit einer der ersten Veranstaltungen im regulären Semester verfügte die Aktivitas der Ottonia bereits wieder über 19 Aktive und 13 Füchse. Bemerkenswert und hervorzuheben ist auch hier erneut der anhaltende Ottonengeist: „Fast alle nahmen mit einem erstaunlichen Lerneifer das Studium wieder auf. Mit Begeisterung setzten sie sich außerdem für die Sache Ottonias ein, während draußen weitgehend Schwarzhandel und Selbstsucht herrschten.“ Trotz oder gerade wegen der schwierigen wirtschaftlichen Gesamtsituation in der unmittelbaren Nachkriegszeit, arbeiteten Aktivitas und Philisterium enger denn je zusammen. Obwohl das Ottonenhaus im Krieg zerstört worden war, setzte der Philisterkonvent umgehend alles daran, nicht nur das Grundstück zurückzuerhalten, sondern auch mit der Gründung des Hausbauvereins e. V. noch im Jahre 1948, trotz der bereits erwähnten wirtschaftlich schwierigen Nachkriegszeit, das Ottonenhaus neu zu errichten. Dabei kam die Währungsreform der Ottonia zugute, die ermöglichte die noch auf der Liegenschaft lastenden Hypotheken schneller auszugleichen. In der Zwischenzeit trafen sich Ottonen zunächst im Lokal „Zur Heimat“ in der Luisenstraße, dann in einem Nebenzimmer des Münchener Hofbräuhauses, anschließend im „Chinesischen Turm“ im Englischen Garten und ab 1952 schließlich im Alemannenhaus in der Münchener Kaulbachstraße. Obwohl viele Couleurgegenstände, in der besagten Nachtund- Nebelaktion einiger Ottonen in Sicherheit gebracht worden waren, wurden jedoch die meisten dieser bei den Bombardierungen Münchens zerstört. Aus diesem Grund musste auch ein neues Prunkwappen hergestellt werden, welches schließlich im Jahr 1950 von einigen Philistern gestiftet wurde und bis heute seinen Ehrenplatz im kleinen Kneipsaal des Ottonenhauses (2. Etage) besitzt. Am Ende des Sommersemesters 1950 bestand die Aktivitas der Ottonia aus 70 Aktiven und 14 Füchsen. Dennoch zeigten sich aber bereits wenige Jahre später, im akademischen Jahr 1958/59, die ersten noch heute gültigen Probleme: Obwohl sich zwar eine große Aktivitas gebildet hatte, taten sich bereits in dieser Zeit einige Aktive schwer damit, sich nach ihrer Studienzeit dem Philisterium anzuschließen. Darüber hinaus die, wie Bb Heinrich Gratzl beschreibt „Interessenslosigkeit eines (…) Teils der AH am Verbindungsleben (…); denn wie sollten junge Leute begeistert werden, wenn es die eigenen Leute nicht mehr sind.“ Obwohl dies ein bis in die Gegenwart andauernder allgemeiner Trend geworden zu sein scheint, ist die Ottonia mit dieser Wirklichkeit gut zurechtgekommen, wie sich noch zeigen wird. Die Pläne des Neubaus in der Gabelsbergerstraße wurden insbesondere durch die allgemeine schwierige Finanzkraft dieser Jahre verzögert, sodass erst durch die Gewinnung der beiden Münchener katholischen Studenten Dass die Bauzeit am Ende nur zwei Jahre betrug, ist dem Architekten des Hauses, Rainer Franz und dem Bauunternehmer Fritz Dietzel zu verdanken, die beide Philister der Ottonia waren und ihre Energien auf dieses Ziel konzentrierten. Die Einweihung fand im Rahmen eines Festgottesdienstes während des 96. Stiftungsfestes am 15. Juli 1962 statt. Die folgenden Jahre waren geprägt von Prosperität und gelebten Prinzipien. Die Zeit des Wirtschaftswunders spiegelt sich auch in der Ottonia wieder, die vom Geist des Aufbruchs erfasst wurde. Auf Basis der Prinzipienrede anlässlich des 100. Stiftungsfestes am 15. Juli 1966, gehalten von Hannes Burger, lässt sich ableiten, dass, wie schon angedeutet, die Probleme der Zusammenarbeit wenige Jahre zuvor der Vergangenheit angehörten: „Der Aktivensenior (…) dankte den Alten Herren für die (…) Freundschaft. Er bezeichnete die katholische Verbindung als ein Modellfall für die Lösung des Generationenproblems in einer freien akademischen Partnerschaft, in einem fairen Spannungsverhältnis zwischen Progressiven und Konservativen, zwischen Alten und Jungen, zwischen der Welt idealistischer Wünsche und der Welt harter realistischer Erfahrungen, in einer Partnerschaft akademischer Generationen“. Auch wenn diese Formulierung des damaligen Aktivenseniors nun 50 Jahre zurückliegt, könnte sie ohne Frage ein Spiegelbild aktueller Entwicklung sein. Auf diesem Hintergrund, gingen auch die Studentenproteste der 1968er-Jahre zunächst nahezu spurlos an der Ottonia vorbei, denn der Ottonia waren gewisse Zyklen in ihrer Geschichte bekannt. So erkannte der neue gewählte Philistersenior Max Gehles 1977 in seinem Philisterrundschreiben: „(Die) Aktivitas (…) befindet sich nicht nur in einem deutlichen zahlenmäßigen Aufschwung, sie ist auch (dabei) eigene Ideen zu entwickeln und ein Verbindungsleben aus ihren Mitgliedern heraus und mit diesen zu gestalten, nicht nur Überkommenes abzuspulen und nachzumachen.“ Größere Herausforderung für die Gemeinschaft der Ottonia, insbesondere in den anstehenden 1980er-Jahren, war eher die Frage der Aufnahme nichtkatholischer Mitglieder. Einigung nach einer Phase scharfer interner Kontroversen konnte schließlich 1986 in den Vorbereitungen zum 120. Stiftungsfest getroffen werden, indem sich die Ottonia nach langem Ringen schließlich auf die 10% Regelung einigen konnte. Ausschlaggebend für diese Entscheidung war die vom Philistersenior Max Gehles erbetene Einschätzung zu diesem Thema vom Philister und Ehrenmitglied, dem damaligen Abt des Klosters St. Bonifaz und Andechs, Odilo Lechner, der eine solche Regelung im Sinne einer gesunden Ökumene sehr begrüßte. 1992 nutze die Ottonia die Gelegenheit in der Goethestraße von der Theatergemeinde eine zusätzliche Wohnung mit 4 Zimmern anzumieten, um der angewachsenen Aktivitas vergünstigten Wohnraum zu bieten. Die letzte vorausschauende Erneuerung vor dem Jahrtausendwechsel war die Gründung der Ottonenwohnheimstiftung im Jahr 1997 auf Anregung des damaligen Philisterseniors Max Gehles anlässlich des 130. Stiftungsfestes (1996), der mit dieser Stiftung und der in diese eingehende jährliche finanzielle Zuwendungen die Finanzkraft der Ottonia für die Zukunft sicherstellen wollte. Besorgniserregend war jedoch vorübergehend der Zustand der Aktivitas der 1990er-Jahre geworden, die im Sommersemester 1998 trotz der zusätzlichen Wohnung in der Goethestraße lediglich aus 4 Aktiven und 15 Inaktiven bestand. Dies hatte den dramatischen Einschnitt zu Folge, dass erstmalig das Amt des Vx nicht besetzt werden konnte. Dieses Tief, Spätfolgen unter anderem aus den Studentenprotesten aber auch veränderter gesellschaftlicher Wirklichkeiten in der Zeit nach der deutschen Wiedervereinigung, konnte jedoch durch die Aktivitäten der noch vorhandenen Aktivitas nicht nur ausgeglichen, sondern letztlich auch durch die Gewinnung zahlreicher Fuchsen zum Wintersemester des gleichen Jahres zukunftsweisend bewältigt werden.